Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin! Wunderbar sind deine Werke – das erkennt meine Seele.
Peter kam mit einem Gendefekt auf die Welt. Trisomie 18. Ein sehr schwerer Gendefekt, sagten die Ärzte. Diese Kinder würden oft schon in der Schwangerschaft versterben, selten älter als wenige Jahre werden. Es würde Einrichtungen geben, wir müssten ihn nicht bei uns behalten.
Doch sollte er – nach Plan – sogar zu Hause geboren werden! …bei der Geburt seines großen Bruders im Krankenhaus war vieles blöd gelaufen. Aber Peter wollte einfach nicht kommen - er wurde per Kaiserschnitt geholt. Vielleicht spürte er, was ihn erwartet… Einatmen, Ausatmen, Einatmen, Ausatmen …so anstrengend!
Seine Bronchien unausgereift, die Luftröhre instabil, der ganze Atemtrakt viel zu eng. Ständig verlegten sich seine Atemwege. Unsere ausgewählte Hebamme durfte die Geburt begleiten. Das war damals in Jever noch möglich. Wie gut! Annehmen, sagte die Hebamme, alles bejahen, öffnet euch für ihn! Nur Fühlen, kein Nachdenken! Nackt auf die Brust, ihn Halten, Haut an Haut. Trotz Sauerstoffschläuche, trotz Infusionen, trotz Nasensonde und EKG-Elektroden. Ja, immer ja zu dir, du wunderbares, kleines Wesen!
Nach 10 Tagen flüchteten wir aus der Intensivstation. Die richtige Entscheidung, wenn auch sehr blauäugig. Der nächste Krankenhausaufenthalt – einer von mehr als 20 nur in den ersten 3 Jahren - ließ nicht lange auf sich warten. Aber wir waren erst mal zusammen und fanden uns. Irgendwie. Wir vier. Peters „großer“ Bruder noch nicht ganz zwei.
Nun ist Peter 15 Jahre! Er lebt! In unserer Familie! Und: Hey, ja - wir sind es noch, eine vierköpfige Familie! Vielleicht die allergrößte Herausforderung – die Ängste, die Trauer, die Wut gemeinsam …irgendwie… halbwegs… bewältigt zu bekommen. Und sich nicht aus den Augen zu verlieren. Einander und auch sich selbst.
Die wohl zweitgrößte Herausforderung: das Leben mit Peter ist nur mit Unterstützung Vieler möglich. Peter benötigt 24 Stunden-Intensivpflege. Davon übernimmt der Pflegedienst inzwischen 10 Stunden. Wir Eltern den Rest – bei Dienstausfällen oft mehrere aufeinander folgende Tage alles. Peter hat seine vielen Leute gern. Über 70 Pflegekräfte hat er, haben wir, im Laufe der Jahre kennen und - manchmal – auch lieben gelernt. Peter ist da nur wenig wählerisch. Er ist immer zugewandt, streckt seine Arme aus, zieht jeden zu sich ran. Sagt „Ahhhhh“ und „streichelt“ sein Gegenüber. Das ist gut für uns zu sehen! Gerade weil es uns Eltern phasenweise immer mal wieder auch schwerfällt, mit den vielen unterschiedlichen Charakteren harmonisch zu leben. Und das ist es tatsächlich, ein gemeinsames Leben mit vielen, wechselnden WG-Bewohnern.
Wie sieht das Leben für Peter aus? Er wiegt inzwischen 40 kg und ist ca. 1,45m groß. Gerne liegt er auf einer weichen Bodenmatte. Am liebsten gemeinsam. Oder er sitzt im Rollstuhl, „spielt“ eine kurze Zeit mit Dingen, die man ihm in die Hand gibt. Weißt du, welche Brötchentüten am besten knistern? Und er „unterhält“ sich gerne. Liebt es, wenn man mit ihm in seinen „Worten“ lautiert. Ein bis zweimal am Tag wird er „beturnt“, von Krankengymnasten oder den Pflegekräften. Und wird auch mal in seinen Gehtrainer gestellt. Gehtrainer …so heißt allerdings nur das Gerät. Es bringt ihn in die Aufrichtung. Manchmal bewegt Peter seine Beine ein wenig darin. Das war mal anders. Er konnte an der Hand geführt laufen, manchmal die Straße ganz rauf und runter! Dann hat er sich das Knie verdreht - in einem epileptischen Anfall. Drei Krankenhausaufenthalte in den folgenden Jahren, drei Operationen, es kam nicht wieder in Ordnung. Das Wachstum erschwert die Mobilität zusätzlich. Ausgeprägte Skoliose – Wirbelsäulenverkrümmung. So stark, dass die Organe – auch die Lunge – wenig Platz im Bauchraum hatten. Zwei OP´s mit Wirbelsäulenversteifung als Lösung. Das macht Bewegung sehr beschwerlich.
Und die Epilepsie…. Sie kam erst, als Peter schon 7 war. Gerade schien sich vieles gut zu entwickeln. Peter hatte eine Herz-OP hinter sich. Die Medikamente, mit massiven Nebenwirkungen, konnten komplett abgesetzt werden. Und eine Mandel-OP. Dadurch hatte er weniger Sauerstoffabfälle, musste nachts nicht mehr beatmet werden. 2011 war ein gutes Jahr, ganz langsam kehrte erstmals Ruhe ein….
Mit jeder Sternschnuppe der eine Wunsch. Die Epilepsie, nur die Epilepsie. Sie entwickelte sich einfach plötzlich. Vorpubertät? Ja, vielleicht am ehesten. Kein Medikament hilft - Sabril, Keppra, Valproat, Frisium, Inovelon, Dronabinol, Vimpat, … An guten Tagen nur 3-5 Krampfphasen. An schlechten Tagen über 10. Die dauern oft 20 Minuten und länger. Und Apnoen dabei - Atemstillstände. Täglich. Im Ausklingen der Krämpfe schaut und lächelt Peter oft trotzdem. Oder gehört das Grinsen zum Krampfgeschehen?
Die Epilepsie raubt viel. Das Gehirn hat sich verändert, es ist geschrumpft. „Großhirnatrophie“ nennt sich das. Das kam durch eines der Medikamente. Es hat wieder gestoppt. Doch was verloren ist, kommt nicht zurück.
Peter konnte gezielt Richtung Auto stapfen. Er schaute so gerne die Reifen an. Und mit einer Art therapeutischem „Geh-Frei“ fuhr er im Kindergarten zu „seinem“ Spiegel. War ganz verzückt von seinem wirklich süßen, knuffigen Anblick, mit 4/5 Jahren. Er konnte einzelne Worte sprechen – naja… zumindest meinten wir, ihn zu verstehen. Er begann sogar mit 2-Wort-Sätzen. Hab´ dich lieb, Pauli: „Hapi Emi“. Emi - so nannte er seinen großen Bruder. Er konnte „wie ein Indianer machen“ und zeigen „wie groß bist du denn?“.
Erinnern schmerzt. Einatmen, Ausatmen, Einatmen, Ausatmen. Jetzt ich.
Du bist es weiterhin, unser wunderbarer Sohn. Du lächelst viel. Immer noch. Du kuschelst gern und liebst es, kräftig angefasst zu werden. Du hast Freude an den kleinen Dingen. Die grünen Blätter der Kastanie vor blauem Himmel. Singen, Schoßreiterspiele (…gar nicht so einfach mit so einem großen Schlops). Du bist ein Sonnenschein und Sympathieträger. Man mag dich einfach. Deine vielen „Freunde“ sind gerne bei dir. Vor allem auch deine „Männer“ vom ambulanten Kinderhospizdienst der Stiftung Hospizdienst Oldenburg! Die einmal die Woche zum „Spielen“ kommen. Mit dir rangeln, kuscheln, dich schaukeln, Fühlspiele machen, dir vorlesen, mit dir lautieren.
Toll, dass du so viele Menschen um dich hast, die dich gerne haben. Genau so, wie du bist:
Wunderbar gemacht!
Inga Breuer, Rastede